Eine schöne Einrichtung vom FC St. Pauli ist es die Spieler Anfang der Saison durch das Stadtviertel zu schicken, für das sie Fußball spielen, für das der Verein steht, dessen Vereinsname sie auf der Brust tragen. Natürlich kann niemand erwarten die Komplexität eines Stadtviertels in einer rund anderthalbstündigen Führung zu verstehen. Aber ich finde es gut, dass der Mannschaft so wenigstens ein Einstieg in das Thema gegeben wird.
Darüberhinaus lernen die Spieler auf diese Weise auch die wichtigsten Anlaufpunkte der Fans kennen. Der Rundgang startete nämlich am Fanladen und endete im Jolly Roger.
Die Kurverwaltung Sankt Pauli führte die Mannschaft mit unterschiedlichen Schwerpunkten in drei Gruppen durch das Viertel. Aus nachvollziehbaren Gründen war die Stimmung unter den Spielern nach dem sehr schweren Sturz eines Sankt Pauli Fans im neuen Aachener Tivoli nach dem Sieg vom Vorabend sehr gedrückt. Immerhin hatten viele Spieler den Sturz mit eigenen Augen gesehen. (Hier möchte ich gerade als Fotograf mal erwähnen, dass sich der “Kollege”, der den Auslöser beim Anblick eines Menschen, der gerade mehrere Meter tief auf Beton gefallen ist, gedrückt hat und nichts besseres zu tun hatte als das Bild auch noch zur Veröffentlichung frei zu geben, doch mal bitte fragen soll, ob er den Begriff “Ethik” kennt. Es gibt viele Wege dramatische Ereignisse ins Bild zu setzen. Einen lebensgefährlich verletzten Menschen zu zeigen ist die einfachste Art – von einem langjährigen Profi erwarte ich deutlich mehr Einfallsreichtum und Sensibilität.)
Amüsant war es – aus meiner Sicht – nur an einer Stelle. Eine Gruppe hatte nämlich den Weg zur “Ritze” gefunden – einer der legendären Kneipen auf Sankt Pauli, um die sich jede Menge Geschichten aus der Halbwelt ranken. An einem normalen Nachmittag mitten in der Woche war es dort natürlich sehr leer – nur ein Gast war anwesend und das war natürlich einer von den Typen, die man in einer solchen Kneipe auch erwartet. Die Spieler hatten noch nicht mal alle ihre Getränke bestellt, da brachte sich der Gast auch schon ins Gespräch: “Seid ihr Spieler von Sankt Pauli?” Die Frage musste er mehrmals wiederholen, bis die Spieler dies unwillig zugaben. Vermutlich wussten sie, was jetzt kommt. “Sacht ma”, sprach der Gast, “was haltet ihr eigentlich vom HSV?” Die Spieler stöhnten, als ob sie dies schon unzählige Male gehört hätten. Der Gast wechselte das Gesprächsthema und lobte die Mannschaft für das Spiel vom Vorabend. Einige Spieler nahmen das Spielchen mit dem Gast auf und fragten den Gast, wer denn der derzeitige Lieblingsspieler vom FC St. Pauli wäre. Irgendwie kam der Gast aber dieser Aufforderung nicht nach. Die Spieler bemerkten die Lücke in der Abwehr und schickten schnell helfende Worte hinterher: “Was hältst Du den vom Schultz?” fragt einer der Spieler und eben jener saß lächelnd am Tresen. Der Gast antwortete: “Ach, der Schultz, der spielt ja leider nicht mehr für Sankt Pauli.”
Der Gast hat noch ein paar Anläufe genommen ins Gespräch zu kommen, aber irgendwie wollte das nicht mehr gelingen. In dieser Situation habe ich übrigens ein Bild gemacht, dass vielleicht falsch verstanden werden könnte, wenn es alleine stehen würde. Deswegen habe ich die Geschichte erzählt und möchte auch erwähnen, dass ich Timo Schultz und auch Florian Lechner sowie Fabio Morena das Bild gezeigt habe – und Timo Schultz ausdrücklich erwähnte, dass er mit dem Bild kein Problem habe. Mir persönlich ist es trotzdem wichtig, das Bild in den richtigen Kontext zu setzen.
Wir waren dann übrigens noch im Boxkeller und dort trainierte gerade ein junger Mann seine boxerischen Fähigkeiten. Hier staunten die anwesenden Spieler (und auch ich) über die professionelle Arbeit im Ring. Die Anerkennung der Spieler für den unbekannten Boxer war deutlich in den Gesichtern abzulesen.
Ein Leuchten in den Augen konnte ich dann noch bei Charles Takyi erkennen, als ich erzählte wie viele Menschen damals beim Public Viewing auf dem Heiligengeistfeld waren, als sein jetziger Verein in Nürnberg um den Aufstieg spielte. Florian Lechner ergänzte die Berichterstattung vergangener Erfolge um die Balkonfeier beim jüngsten Aufstieg in die zweite Liga. In diesen Augenblicken glaube ich gespürt zu haben, was Charles Takyi gerne mit dieser Mannschaft erleben möchte und wofür er tagtäglich kämpft und trainiert.
Sehr nett habe ich mich auch noch mit Markus Thorandt unterhalten. Mal gespannt, wann er seinen bajuwarisch Akzent los wird 😉
So jetzt aber zu den Bildern der Jungs im Viertel!
Du musst übrigens kein Fußballstar sein, um an einer der interessanten Stadtteilführungen der Kurverwaltung teilnehmen zu können. Weitere Informationen auf dieser Homepage!