Unverhofft hatte ich letzten November zwei Wochen Zeit, um irgendwo hin zu fahren. Nur wohin? Ich entschied mich für einen Kontinent, den ich noch nie bereist hatte, der weit weg aus meiner Wahrnehmung war, von dem ich hörte, dass es große Armut gibt und aus dem trotzdem keine Menschen nach Deutschland flüchten. Am Ende der Reise wusste ich, dass ich gerne wieder in dieses riesige Land mit seinen großartigen Menschen fahren würde…
Es hat ein wenig gedauert, bis ich mich zu diesem Blogbeitrag durchringen konnte. Zu viele Bilder, zu viele Eindrücke, zu viele Erinnerungen, viel zu viel zu sortieren. Auch fühlt sich das Schreiben über die viel zu kurze Reise in Indien so an, als ob ich mit dem Urlaub abschließen würde. Das will ich aber gar nicht. Selten hat mich eine Reise so nachhaltig bewegt. Ich weiß, dass ich damit scheitern werde, diese Erfahrungen in Wort und Bild hier umfänglich wiederzugeben. Deswegen versuche ich es erst gar nicht und beschränke mich auf einige wenige Highlights. Trotzdem ist der Artikel etwas länger geworden. In diesem Teil 1 zeige ich dir noch ein paar Bilder aus der ersten Woche in Varanasi. Dort hatte ich den Workshop bei Maciej Dakowicz besucht und eine Woche in seiner fotografischen Obhut kann ich sehr empfehlen. Die von ihm präferierten Bilder des einwöchigen Workshops in Varanasi habe ich dir schon vor einiger Zeit gezeigt. Heute zeige ich dir weitere meiner Lieblingsbilder. In einem weiteren Teil folgen touristische Bilder von der zweiten Woche, als mich meine Reise alleine in einer Schleife über Agra, Mathura und Vrindavan zurück nach Neu Delhi brachte. Aber ich fange vorne an. Über Düsseldorf und Abu Dhabi reiste ich nach Neu Delhi, um innerhalb Indiens nach Varanasi zu fliegen.
Kaum nachts in Delhi angekommen, hatte ich schon meinen ersten Schock zu verdauen. Mein Gepäck kam nicht an. Rund eine halbe Stunde stand ich am Gepäckförderband und sah Menschen mit ihren Gepäckstücken in die feucht, warme Nacht davon ziehen. Ich las die Leuchtschrift sich von Hamburg nach Moskau wandeln und meine Augen müde nach einem Lost and Found Schild suchen, als eine freundliche junge Dame mich darauf hinwies, dass die Kofferboys auf der anderen Seite die Koffer vom Band genommen hatten. Meine erschöpften Beine gingen einmal rund um das Gepäckförderband und kurz bevor mich der Mut verlassen hatte, sah ich meinen Koffer herrenlos rumstehen. So lange wie er da so rumgestanden haben muss, wäre in Deutschland vermutlich schon längst der Flughafen mit einer Terrorwarnung geräumt worden.
Die nächsten Stunden sollten viel von dem Vorwegnehmen, was dieses Land so bereisenswert macht, ohne dass ich das zu diesem Zeitpunkt schon erahnt hätte. Für mich ging der Trip mit einem Inlandsflug nach Varanasi weiter. Dafür musste ich den Shuttlebus vom Terminal 3 zu Terminal 1b nehmen. Eine halbe Stunde Fahrt in einem überfüllten und überladenen Bus, der den TÜV vor 20 Jahren still gelegt hätte. Hatte ich erwähnt, dass die Klimaanlage defekt war und mir warme Luft ins Gesicht blies? Im Terminal 1b erwartete mich eine nicht enden wollende Schlange durch das halbe Terminal. Innerlich war ich froh, dass mein Flieger erst in zweieinhalb Stunden gehen sollte. Ich kaufte eine Flasche Wasser für umgerechnet kaum 0,60€ und stellte mich an. Eine Dreiviertelstunde später hatte ich mich eingecheckt, meinen Koffer aufgegeben und die Securitykontrolle überstanden. Damit hatte ich beim Anblick der Menschenmassen vor den Countern nicht gerechnet. Ich saß im Flughafenrestaurant, bestellte Dosa „non spicey“, ließ mir vom freundlichen Kellner bestätigen, dass das Essen überhaupt nicht scharf sei und hatte zwei Minuten später Verbrennungen ersten Grades bei allen inneren Körperteilen, die mit dem Essen in Verbindung gekommen waren.
Der Flug nach Varanasi verlief unspektakulär. Ein Taxifahrer brachte mich zum Hotel. Während der Fahrt dachte ich die ganze Zeit, ich würde in einem Dokumentarfilm sitzen.
Auf Youtube gibt es das Video übrigens in besserer Qualität 🙂
Im Hotel angekommen habe ich erst mal geschlafen. Meine innere Uhr war 24 Stunden unterwegs gewesen und viereinhalb Stunden Zeitunterschied sind auch nicht zu verachten.
Das Hotel Alka kann ich übrigens sehr empfehlen, du musst allerdings Glück mit dem Zimmer haben. Die erste Nacht musste ich mit bizarr aussehenden Insekten teilen. Nach einem Umziehen hatte ich das nötige Glück. Und 105€ für 8 Übernachtungen ist nun auch nicht gerade Wucher. Außerdem habe ich gesehen, wie Flaschenwasser zum Kaffeekochen verwendet wird. Das ist viel wert. Die hygienischen Zustände in Indien sind mit nichts zu vergleichen, was du in Europa erlebst. Es hat schon seinen Grund, dass ich ein Foto von meinem Toilettenpapier gemacht habe.
Varanasi ist eine der heiligsten Städte der Hindus, die in der Stadt rund Zweidrittel der Bevölkerung stellen. Schon auf der Taxifahrt hatte ich eine wichtige Lektion über Indien gelernt: Urteile nicht. Sicherlich erzähle ich dir nichts neues, dass Kühe den Hindus heilig sind. Sie sind im Stadtbild völlig normal. Während der Taxifahrt überholten wir ein Lastenfahrrad mit auf der Ladefläche festgezurrten 5 oder 6 junge Kälbchen. „Das ist ein Moslem“, sagte der Taxifahrer, „die essen die.“ So einfach kann Zusammenleben sein.
Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, die hygienischen Zustände. Nachfolgend ein Bild einer luxuriösen öffentlichen Toilette in Varanasi.
Normal ist eher, dass man sich an die Strassenecke setzt und hinpisst oder kackt. Wenn du also glaubst, dass es schlimm ist, dass die Kühe überall hinscheissen und du beim Wandern durch Varanasi ständig auf Kuhfladen achten musst, kann ich dich beruhigen: tierische Scheisse stinkt längst nicht so schlimm wie menschliche. Außerdem ist Kuhscheisse total nützlich. Du kannst sie aufsammeln und trocknen lassen. Dadurch gewinnst du Brennmaterial für deinen Herd.
Überhaupt wirken viele Dinge in Indien auf den ersten europäischen Blick völlig unverständlich, aber nach ein paar Tagen ergeben sie plötzlich einen Sinn. Nur das mit den hygienischen Zuständen ist einfach nur eine Katastrophe. Selbst Inder werden mittlerweile durch diese Zustände krank. Hier weise ich sehr gerne auf die wahnsinnig wichtige Arbeit von Viva con Agua zusammen mit dem Goldeimer hin. Ich habe gerne in Indien die Aufkleber mit „No border, no nation, no open defecation“ vom Irie Révoltés Konzert verteilt.
Die Menschen in Varanasi sind sehr freundlich. Natürlich versuchen dir die Bootsfahrer eine Bootstour entlang des Ganges anzubieten. Aber wenn du mit „Nein, danke“ antwortest, haken sie nur in den allerseltensten Fällen nach. Du stehst orientierungslos an einer Strassenkreuzung? Sofort stehen drei Leute neben dir und versuchen dir zu helfen. Und natürlich kannst du ihnen dein Smartphone mit Google Maps in die Hand drücken, um dir den Weg erklären zu lassen. Sie werden es dir wieder geben. Freundlichkeit ist aber keine Einbahnstrasse: manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich öfter fotografiert werde, als umgekehrt. Selbstverständlich wirst du überall angesprochen und nach Namen und Herkunft gefragt. Im Stadtbild fällst du auf – und ich mit meinen alles überragenden fast zwei Meter erst recht. So what? Ich habe einfach zurück gefragt und viele interessante Gespräche haben sich entwickelt. Wer eben noch mit zerrissenem Pullover am Ganges rumlungerte, programmiert vielleicht gleich die Software für deine Telefonanlage. „Urteile nicht.“
Varanasi gilt vor allem deswegen als heilige Stadt, weil ein Bad im Ganges von Sünden reinigt. Und in Varanasi verbrannt zu werden, ist der Ausbruch aus dem Kreislauf der Wiedergeburt. So wird im Ganges gebadet, die Wäsche gewaschen, die Leichen am Ufer verbrannt und die Asche in den Ganges gespült, als sei es das Normalste von der Welt.
Ich bin ein komplett ungläubiger Mensch, aber diese Art der Totenbeseitigung ist vermutlich die einzig sinnvolle Art, in einem Land mit einer Milliarde Einwohnern. Wenn die Toten beerdigt werden würden, wäre Indien schnell ein einziger Friedhof – und die hygienischen Bedingungen vermutlich noch schlechter. Auch wenn der für Varanasi typische, beständige Geruch brennenden Holzes in der Nase auch nicht gerade vorteilhaft ist. Und Asche im Badewasser ist sicherlich auch keine optimale Lösung. Vermutlich gibt es aber auch nichts optimales. Ich habe keine Ahnung, aber irgendwie klingt das hinduistische Vorgehen logisch. Vermutlich aber nur für Leute, die selbst mal da waren.
Wieso schreibe ich eigentlich so viel? Ich wollte doch nur noch ein paar schöne Bilder aus Varanasi zeigen. Also, hier:
Beenden möchte ich den ersten Teil mit einem kleinen Eindruck vom innerstädtischen Verkehr in der 1,2 Millionen Einwohnerstadt Varanasi.
Fazit der ersten Woche: Ein Besuch in Varanasi ist unbedingt empfehlenswert. Vorher impfen nicht vergessen.
Tl;dr: war geil! RT : Neu im Blog: Geschichten aus #Indien – Teil 1: #Varanasi – https://t.co/yWkFDnkQpc https://t.co/BpYXgesD6g
Das Foto mit der Spiegelung im Wasser find ich richtig richtig gut!
na, wenigstens eins 🙂
So war das nicht gemeint 🙂