Ein schöner Weg seine eigenen Gewohnheiten und liebgewonnenen Alltäglichkeiten zu hinterfragen, ist einfach mal ähnliches in völlig unbekannten Ambiente zu machen. Dabei ein Fußballspiel zu besuchen, kann – zumindest für einen Fußballfan – ein zusätzlicher Anreiz sein. Wenn es darüberhinaus um Mannschaften geht, die du sonst höchstens im Europapokal oder der Championsleague sehen kannst, ist die Planung für einen Samstagabend eigentlich schon perfekt.
Für das Spiel Sporting Lissabon gegen FC Porto bestand für mich und meine Frau zu keiner Sekunde ein Grund zu zögern, um Karten zu besorgen. Wenn wir eh schon in Lissabon sind…
Das Stadion steht ähnlich wie das Millerntor mitten in einem nicht gerade vom Reichtum der Anwohner strotzendem Viertel. Daher ist es fast logisch, dass es im Stadion unter anderem einen Supermarkt von Lidl gibt.
Hinweisschilder zeigen unmissverständlich, was nicht ins Stadionrund gehört. Die Personenkontrollen sind intensiv. Die Spielminuten ohne brennende Bengalos an einer Hand abzuzählen. Mal weiß, mal grün – die Vereinsfarben von Sporting sind allgegenwärtig. Mal hinter dem einen Tor, mal hinter dem anderen – den Standorten der unterschiedlichen Ultragruppierungen – brennt es. Die Fans schaffen es sogar unter riesigen Fahnen zu zündeln, ohne diese anzuzünden. Unnötig zu erwähnen, dass kein Stadionsprecher ermahnend den Zeigefinger hebt. Unterbrochen wird das Spektakel nur durch Kanonenschläge, die im Rund erhallen.
Abgerundet wird das alles durch dauerhaften Ultragesang, in den hin und wieder die Zuschauer der teuren Plätze einstimmen. Imposant fand ich auch, wie die doch weitentfernten Ultragruppen ihre musikalische Untermalung aufbrachen, um Wechselgesänge anzustimmen. Es ist mir ein völliges Rätsel geblieben, wie die sich darauf verständigten. Der Wechselgesang entstand aus dem normalen Gesang heraus. Plötzlich war er da.
Während des Spiels habe ich jedenfalls plötzlich den Reiz verstanden, den USP in das heimische Millerntor hineinträgt. Erstmals erlebte ich stadionrunderfüllende Gesänge über eine komplette Spiellänge in einer ordentlichen Lautstärke. Das ist umso erstaunlicher, da das Stadion mit etwas über 27000 Zuschauern nur gut zur Hälfte besetzt war. Jedem Kritiker der “Dauerlala-Gesänge” gönne ich dieses Erlebnis. Es funktioniert tatsächlich, wenn sich alle darauf einlassen.
Dabei war es auch mit einem heimeligen Gefühl verbunden, die Melodie von “Welcome to the Hell of St. Pauli” zu hören, aber den Text nicht zu verstehen.
Was war sonst noch so? Der Spieler, der in der Winterpause den Verein wechselte und nun in den falschen Farben auflief, wurde bis zu seiner Auswechslung konsequent bei jeder Ballberührung ausgepfiffen. Von allen im Stadion in grün-weiß.
Schiedsrichter treffen auch in Portugal Entscheidungen, die keiner versteht. Andererseits ist ein sich am Boden krümmender Spieler noch lange kein Grund, ein Spiel durch einen Pfiff zu unterbrechen.
In der Halbzeit können sich Fans neben der obligatorischen Stadionwurst im Stadion-TV über die wichtigsten Szenen in Zeitlupe informieren.
Fotografen waren rund 60 vor Ort.
Das Spiel ging 0:0 aus.